Ich finde Jan Böhmermann abstoßend und sehe keinen Grund, mir seine Sendung anzutun. Leider entkommt man dem aggressiven Unfug nicht ganz, wenn man sich für deutsche Politik interessiert. Denn Böhmermann erregt immer wieder den Diskurs und prägt die Gemüter. Oder so.
Nur als Symptom also ist Böhmermann von Interesse. Man erfährt durch seine Performance etwas über das Ampel-Milieu, das sich für Mitte und Avantgarde der Gesellschaft hält, ohne dieses oder jenes zu sein. Wenn Böhmermann »Nazis keulen« will, dann steht das in einer langen Tradition von sich künstlerisch gebärdendem linken Verbalradikalismus, zu dem auch gehört, sich über die zuverlässig provozierte Empörung in konservativen Kreisen zu amüsieren. Dahinter steht eine durch vielfältigen Mitteleinsatz aufrechterhaltene Überlegenheitsphantasie, die Ausdruck und Bestätigung findet
in der Produktion und Präsentation von »kreativem« Content;
in dem fortgesetzten Davonkommen mit verbaler Provokation und Destruktivität, mit dem »Verarschen« mindestens all jener, die der ideologisch-politischen Out-Group angehören, potenziell aber aller Menschen;
in der so erworbenen Zugehörigkeit zur »progressiven Elite«, deren ideologische Verpflichtungen labil sein können.
Leute wie Böhmermann haben ihren Narzissmus zum Beruf gemacht. Unsere Gesellschaft hat leider ein Faible für diesen Typus, der in woken Zusammenhängen heute umfangreiche Betätigungsfelder vorfindet.
Böhmermann tritt als Satiriker und Entertainer auf, und das sind natürlich vage Berufsbezeichnungen. Zu seiner Rolle im linksdominierten staatsnahen Rundfunk gehört, dass er als linker Scharfmacher »gegen rechts« agiert. Unter den Begriff und das Urteil »Nazi!« fallen für ihn — wie aus dem engeren und weiteren Kontext hervorgeht — die ganze AfD (und FPÖ) sowie Politiker der CDU, die irgendwie konservativ auffallen. Also tendenziell jeder, der nicht links ist. Abgesehen von der schlichten Unwahrheit, ja Absurdität dieser Gleichsetzungen sind zwei besorgniserregende Tendenzen hervorzuheben, die weit über »Böhmi« hinausgehen:
dass die polemische Verwendung von »Nazi«, parallel zu anderen begrifflichen Entgrenzungen, beständig zunimmt;
dass, was man diesen »Nazis« (rhetorisch oder wirklich) antun will, ebenfalls einer Entgrenzung und Steigerung unterliegt. Vom alten »Punch a Nazi«-Meme (nicht nur Gerede) hin zu Böhmermanns — haha, clever über ein Wortspiel mit »Nazikeule« eingeführtem — »Keulen« von »Nazis«. (Ja, ich mag die Anführungszeichen!)
Das Wort »keulen« bezeichnet die massenhafte Schlachtung von Nutztieren, um die Verbreitung von Tierseuchen zu verhindern. Es gibt außer dieser einen Gruppe der »Nazis« keine Gruppe von Menschen, zu deren Keulung man in Europa vor einem riesigen Publikum aufrufen kann, ohne massive Konsequenzen in Kauf nehmen zu müssen. Es gibt einige Gruppen, über die man sich besser nur entlang der offiziösen Phrasen äußert, will man kein Risiko eingehen.
(By the way, auch echte Nazis sind nicht Freiwild. Auch echte Nazis sind Menschen …)
Klar, man kann das alles metaphorisch verstehen. Als Spaß, Unterhaltung — jedenfalls als harmlos abtun. Und nein, das Publikum wird nicht sofort losziehen, um den nächsten Konservativen am Laternenpfahl aufzuknüpfen. Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass diese Form von augenzwinkernder Hetze systematisch die Gesellschaft vergiftet und ein Klima schafft, in dem schließlich auch Gewalttaten gegen rechte Politiker zunehmen. Was sagt Böhmermann dann? Entweder nichts. Oder er klopft den nächsten blöden Spruch.
Böhmermann lebt davon, dass er das, was er sagt, sowohl ernst meint als auch nicht ernst meint. Denn ein simpler, ernst gemeinter Mordaufruf wäre offensichtlich nicht Kunst. Und bloße Wortspiele, offensichtlich nicht ernst gemeint, würden Böhmermanns Status als »krasser Antifaschist«, der ihm wichtig ist, unterminieren. Er spielt mit dem Feuer … Von dieser Ambivalenz, die seine Verantwortungslosigkeit ermöglicht, lebt Böhmermann. Und von dieser — unangreifbar scheinenden — Position aus vergiftet er den Diskurs, die Gemüter und trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei.
Es ist wohl diese systematische Verlogenheit, die — nächste Stufe der Verlogenheit — als das Spielerische der Kunst ausgegeben wird, die mir Böhmermann so unerträglich macht. Ich habe nicht die Absicht, mich eingehender mit ihm zu beschäftigen.
Während ganz Deutschland gegen »Hass und Hetze« mobilmacht und die informelle Sprachpolizei laufend neue Wörter zur Fahndung ausschreibt, genießt der Hofnarr — gut, das ist logisch — Narrenfreiheit. Doppelmoral wird so konsequent praktiziert, dass sie als der Versuch aufzufassen ist, die Ungleichbehandlung als neues moralisches Prinzip zu etablieren. Deutschland befindet sich in keinem guten Zustand, Deutschland ist krank, konstatiere ich als österreichischer Beobachter. Und unser viel entspannterer Umgang mit der FPÖ ist ein Standortvorteil.